Behindertenpolitk wieder zum Thema machen

  • Der für die Linke in den Deutschen Bundestag gewählte Dr. Ilja Seifert will dafür sorgen, dass Behindertenpolitik wieder zum Thema gemacht wird. kobinet-Redakteur Martin Ladstätter sprach mit dem frisch gebackenen Bundestagsabgeordneten über dessen Ziele.


    kobinet-nachrichten: Herzlichen Glückwunsch zum Einzug in den neuen Deutschen Bundestag. Wie lief die Wahl und wie bewerten Sie das Ergebnis in Ihrem Wahlkreis?


    Dr. Ilja Seifert: In meinem Wahlkreis erreichte ich - nach Erststimmen (23,5 Prozent) - den zweiten Platz hinter dem 30jährigen CDU-Generalsekretär von Sachsen, Michael Kretschmer, und vor dem SPD-Bewerber, Wolfgang Gunkel, der immerhin oberster Polizeichef von Ostsachsen ist. Dabei verzichtete ich auf jedweden Erststimmen-Wahlkampf. Es gab in diesem Jahr kein einziges Plakat von mir. Mir ist/war es wichtiger, Mitglied einer möglichst starken Linksfraktion zu werden, als persönlich einige (Zehntel-)Prozentpunkte vor anderen LinkspolitikerInnen zu liegen. Dass ich dennoch so gut wie nie abschnitt, erstaunt und erfreut mich. Noch stolzer aber bin ich darauf, dass wir in meinem Wahlkreis mit 24 Prozent Zweitstimmen über dem Durchschnitt der sächsischen Linkspartei liegen. Das gab es noch nie. Es zeigt sich also: kontinuierliche Basisarbeit für "Schwächere" - und Menschen mit Behinderungen gehören strukturell zweifellos dazu und wird akzeptiert und gewürdigt.


    kobinet-nachrichten: Welche Ziele haben Sie für die nächsten Jahre?


    Dr. Ilja Seifert Ich will dafür sorgen, dass Behindertenpolitik auf Bundesebene wieder ein Thema wird. Das geht auch aus der Opposition heraus. Um unsere Teilhabemöglichkeiten zu verbessern, brauchen wir bedarfsdeckende Nachteilsausgleiche (ohne Sozialhilfe-Kriterien).


    kobinet-nachrichten: Könnten Sie sich auch vorstellen, das Amt eines Behindertenbeauftragten zu übernehmen, falls die Linkspartei in die Regierung kommen sollte?


    Dr. Ilja Seifert: Vorstellen kann ich mir vieles. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir irgendwie an der Regierung beteiligt werden, ist allerdings verschwindend gering. Interessant wäre es, wenn die/der Behindertenbeauftragte, der ohnehin ein Mitglied des Bundestages sein soll und vom Parlament gewählt wird, aus der Exekutive in die Legislative wechseln würde. Er könnte dann - ähnlich wie die/der Wehrbeauftragte - viel freier agieren, müsste nicht den Betroffenen die Regierungspolitik "schmackhaft" machen, sondern könnte und müsste eine echte Kontrollinstanz (für das BGG, SGB IX, SGB XI, Antidiskriminierung, Barrierefreiheit usw.) werden. Dafür müsste der Stab der/des Behindertenbeauftragten in voller Stärke in den Bundestag integriert werden. Unter solchen Vorzeichen könnte ja vielleicht wirklich ein kleines "Wunder" geschehen: Die Regierenden - gleich, in welcher Farbmischung sie zusammengesetzt sein wird - könnten einen fest in der Behindertenbewegung verwurzelten Oppositionspolitiker in diesem Amt akzeptieren. (Aber es sieht in dem momentanen Machtgerangel nicht danach aus, dass man so "mutige" Schritte gerade in der Behindertenpolitik wagte.)


    kobinet-nachrichten: Was muss diese - wie auch immer zusammengesetzte Regierung - Ihrer Meinung nach umsetzen?


    Dr. Ilja Seifert: Sie muss uns - die Betroffenen und unsere Organisationen - wirklich ernst nehmen. Das heißt: unsere Forderungen und Konzepte (z.B. nach einem Nachteilsausgleichsgesetz; oder bedarfsdeckendes Behindertengeld; oder Assistenzsicherungsgesetz; und wirksamer Diskriminierungsschutz usw.) ernsthaft diskutieren und nicht nur Alibi-Veranstaltungen durchführen. Und sie muss klare Strukturen der Zusammenarbeit schaffen, in denen sie mit uns - der Betroffenenbewegung - zusammenarbeiten will. Es darf nicht dabei bleiben, dass mal Dieser und mal Jener "einbezogen" (und damit individuell "gebauchmietzelt" und gegen alle anderen ausgespielt) wird. Weder einzelne Personen noch einzelne Verbände. Die Regierung muss ein von uns - den Betroffenen - anerkanntes Gremium (und die Personen) als ständigen Ansprechpartner akzeptieren. Ich weiß, dass sich der Deutsche Behindertenrat dagegen heftig sträubt. Dafür gibt es gute Gründe. Er soll keineswegs zum "Überverband" mutieren. Dennoch meine ich, dass das unser Schritt des Entgegen-Kommens sein könnte. Die Verhandler des Deutschen Behindertenrates müssten sich dann - wie auch bisher - immer die Zustimmung aller Mitgliedsorganisationen holen. Einfacher geht es nicht. Demokratie ist eben nicht einfach.


    kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg als Bundestagsabgeordneter.


    Dr. Ilja Seifert: Gern geschehen. Und jetzt: Laßt uns wieder an die inhaltliche Arbeit gehen.


    (Das Interview führte kobinet-Redakteur Martin Ladstätter)