Buchtipp Körperspuren - behinderte Frauen erzählen

  • kobinet) Acht behinderte Frauen hat Claudia Franziska Bruner, Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft "Disability Studies in Deutschland", für ihr im transcript Verlag erschienenes Buch "KörperSpuren" interviewt. In der Frankfurter Rundschau wurde heute die "beeindruckend differenzierte und selbstkritische Studie" besprochen.


    "Roswitha Schultze ist eine von acht körperbehinderten Frauen, die die vor kurzem verstorbene Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerin Claudia Franziska Bruner für ihr Dissertationsvorhaben befragte", schreibt der Rezensent unter der Überschrift "Sich nicht gerade biegen". Sie wurde 1961 geboren. Infolge einer Beeinträchtigung durch Contergan kam sie mit sechs Jahren in ein Heim. Im Nachhinein sagt sie, dass sie dadurch selbstständig geworden sei. Sie machte dann eine Ausbildung als Erzieherin und arbeitet heute in diesem Beruf in einem Rehabilitationszentrum für Körperbehinderte. Sie lebt in einer eigenen Wohnung, die sie nach ihrem Geschmack und rollstuhlgerecht eingerichtet hat.


    Auch vor ihrer Heimeinweisung war Roswitha Schultze nicht viel zu Hause, sondern oft im Krankenhaus. Durch Operationen und Prothesen versuchte man sie "gerade" zu richten. Dass dies größtenteils misslang, betrachtet Roswitha Schultze für sich als Erfolg. Mehr und mehr begriff sie ihren Körper, ihr Geschlecht und ihre Behinderung als ein "Lehr- und Lernprojekt". Die Interviewerin Claudia Franziska Bruner kommentiert, es sei für Roswitha Schultzes erzähltes Leben kennzeichnend, dass sie sich als Akteurin präsentiere, die versuche, "schrittweise auf eigenen Beinen zu stehen".


    Das sei schlicht eine gängige metaphorische Formulierung, könnte aber im Zusammenhang einer Rollstuhlfahrerin merkwürdig klingen, so der Rezensent. Doch sie zeige, wie Bruner im theoretischen Teil ausführt, dass eine übermäßig politisch korrekte Ausdruckweise zu Blockaden führen kann, die einer "situativen Positionierung" und der Spontaneität insbesondere im biografischen Rahmen widersprechen. Mit anderen Worten: Menschen mit Behinderungen werden auf ihre Behinderung reduziert. Es wird übersehen, dass stets auch andere "Identitätspartikel" wirksam werden. Bruner betont, dass behinderte Menschen keine homogene Gruppe repräsentierten und dass man Menschen mit Behinderung heute nicht mehr allein im Sinn einer Opferrolle im sozialen Ausgrenzungsgeschehen beschreiben könne. sch


    KörperSpuren
    Zur Dekonstruktion von Körper und Behinderung in biografischen Erzählungen von Frauen
    August 2005, 314 S., kart., 27,80 Euro
    ISBN: 3-89942-298-8