Gefährliches Merkzeichen "B"?

  • Merkzeichen in Schwerbehindertenausweisen sollen dazu dienen behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen. Sie werden jedoch zunehmend ins Gegenteil verkehrt.


    Schwerbehinderte Menschen können Schwerbehindertenausweise beantragen. Damit erwerben sie das Recht auf Nachteilsausgleiche. Sie können sie, einschließlich der jeweiligen so genannten Merkzeichen, beantragen; aber sie müssen es nicht. Und manche haben es in der Vergangenheit schon nicht getan, weil sie eher Nachteile als Nachteilsausgleiche befürchteten, wenn zum Beispiel Arbeitgeber keine behinderten Mitarbeiter einstellen wollten.


    Durch den Status der anerkannten Schwerbehinderung können unter anderem Steuererleichterungen und der "Schutz" des Schwerbehindertenrechtes in Anspruch genommen werden. Die Merkzeichen berechtigen ebenfalls zu individuellen Leistungen bzw. Ausgleichen. Doch genau das wird anscheinend immer mehr zur Falle, in dem die Berechtigungen zu Verpflichtungen umdefiniert werden (siehe auch kobinet-Meldung vom 19. Januar 2006 und kobinet-Meldung vom 24. Dezember 2005.


    Das Merkzeichen "B" beinhaltet die Berechtigung, eine Begleitperson zum Beispiel kostenlos ins Theater mitzunehmen. Das macht Sinn, damit ein pflegebedürftiger Mensch, der seine Begleitperson zum Anziehen der Jacke oder zum Toilettengang benötigt, nicht eine zusätzliche Eintrittskarte kaufen muss. Das gleiche gilt für einen blinden Menschen, der sich ohne Begleitung nicht orientieren könnte.


    Wenn aber das "B" im Ausweis zum Zwang einer Begleitung uminterpretiert wird, ist das völlig inakzeptabel. So dürfen laut Bäderverordnung einiger Kommunen behinderte Menschen, die ein "B" im Schwerbehindertenausweis haben, Schwimmbäder nur noch in Begleitung besuchen.


    Und noch schlimmer kann sich ein Gerichtsurteil vom Landesgericht Flensburg (Az: 7 S 189/03) auswirken, wenn es "Schule machen" sollte. Durch dieses Urteil wurde ein "Heim" zum Schadensausgleich verpflichtet, als eine Bewohnerin mit dem "B" im Schwerbehindertenausweis, alleine eine Straße überquerte und einen Unfall verursachte. Das Heim habe seine Aufsichtspflicht verletzt. Letztendlich - in die breite Praxis übertragen - hieße das Hausarrest für alle behinderten Menschen, die über das "B" im Schwerbehindertenausweis verfügen, wenn sie keine Begleitung zur Verfügung haben oder alleine unterwegs sein wollen. Eine schreckliche Vorstellung.


    Als Kuriosität abgehakt hatte die Autorin dieser Meldung ein eigenes Erlebnis: Vor einiger Zeit wollte sie am "Tag der Menschen mit Behinderungen im Parlament" im Stuttgarter Landtag teilnehmen. Etliche behinderte Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden zur Veranstaltung erwartet. Sie war früh auf dem Landtagsparkplatz eingetroffen. Die Schwerbehindertenparkplätze (Parkberechtigung mit dem Merkzeichen aG für "außergewöhnlich gehbehindert" im Schwerbehindertenausweis) waren noch frei. Da sie aus ihrem Bus nach hinten aussteigt und daher nur einen normalbreiten Parkplatz benötigt, wollte sie die überbreiten Schwerbehindertenparkplätze denjenigen Rollstuhlbenutzern überlassen, die seitlich mehr Platz zum Aussteigen benötigen.


    Doch kaum ausgestiegen, schoss die Kassiererin aus dem Kassenhäuschen und meinte, sie (die Autorin) sei schwer behindert und müsse folglich auf dem Schwerbehindertenparkplatz parken. Alles Erklären half nichts. Das Auto musste vom "Nichtbehindertenparkplatz" umgeparkt werden. Und die Autorin stellt sich die Frage, wo die anderen behinderten Besucherinnen und Besucher parken müssten, wenn die vorhandenen ca. fünf Parkplätze besetzt wären. Nach den zunehmenden negativen Beispielen müssen solche, wie das vorhergehend beschriebene aus der Kuriositätenschublade wieder hervorgeholt und unter "Achtung Gefahr für Freiheit und Selbstbestimmung behinderter Menschen" eingeordnet werden.


    Um Beispiele, wie die oben beschriebenen, nicht Alltagsrealität werden zu lassen, ist der Gesetzgeber dringend gefordert, Klarstellungen zu schaffen. Sonst wird aus dem "Recht auf Nachteilsausgleiche" bald die "Pflicht zur Benachteiligung".